Faszination Vogelzug
Brandenburg ist wichtige Rast- und Durchzugsregion
von Wolfgang Mädlow
Seit jeher fasziniert der Vogelzug die Menschen, beflügelt ihre Fantasie und Sehnsucht. Doch auch für den Natur- und Vogelschutz spielen Zugvögel eine wichtige Rolle, denn schließlich verbringen viele Vogelarten nur einen geringen Teil ihres Lebens im Brutgebiet, den größten dagegen in Durchzugs- und Überwinterungsgebieten, wo sie ebenfalls auf eine intakte Umwelt angewiesen sind. In Brandenburg und Berlin machen Gastvögel aus fremden Regionen einen nicht unerheblichen Teil der Vogelwelt aus: Von 352 bisher nachgewiesenen Arten sind lediglich 184 regelmäßige Brutvögel, 81 sind Durchzügler und Wintergäste und 87 sind als „Irrgast“ nur ausnahmsweise in unseren Raum verschlagen worden.
Zug im Stillen
Entgegen der landläufigen Vorstellung, die Vogelzug häufig mit spektakulären Vogelansammlungen in Verbindung bringt, findet der Zug bei vielen Arten ganz im Stillen statt. Unsere Grasmücken, Laubsänger und Rohrsänger etwa ziehen nachts und einzeln. Sie rasten tagsüber in Wäldern, Gebüschen oder Röhrichten, die noch so häufig sind, dass es in der Regel nicht zu auffälligen Ansammlungen kommt.
Wenn sie im Sommer aufhören zu singen, ist von ihrem Ab- und Durchzug kaum mehr etwas zu verspüren. Nur mit speziellen Methoden, etwa dem Fang mit Netzen zum Zweck der wissenschaftlichen Vogelberingung, lassen sich vom Ablauf des Zug- und Rastgeschehens solcher Nachtzieher genauere Kenntnisse ermitteln. Manchmal wird man auch durch Zufall auf Durchzügler dieser Arten aufmerksam, etwa wenn bei Tagesanbruch kein adäquates Rastgebiet zu finden war und Drosselrohrsänger dann statt im Schilf in Ziersträuchern zwischen Hochhäusern zu finden sind. Den regen Nachtzug über Berlin „belegen“ auch die Wanderfalken am Berliner Alexanderplatz. Die jagen nämlich nachts im Licht des angestrahlten Fernsehturms Zugvögel. Auf ihrer Nahrungsliste finden sich erstaunlich regelmäßig Arten wie Zwergtaucher, Wachtel oder Wachtelkönig, von deren Durchzug über der Stadt sonst niemand etwas mitbekommen hätte.
Konzentration in Feuchtgebieten
Die Diskussionen um den Schutz von Zugvögeln und Rastgebieten drehen sich zum größten Teil um Feuchtgebiete. Das hat seinen Grund, denn viele Feuchtgebietsarten haben recht spezielle Lebensraumansprüche, die heute nur noch an wenigen Stellen erfüllt werden, an denen es dann zu großen Zugvogelansammlungen kommen kann. Dies trifft vor allem dort zu, wo Flachwasserbereiche und freie, schlammige Ufer zur Verfügung stehen.
In naturnahen Flussauen wie dem Unteren Odertal, der Elbtalaue und der Unteren Havelniederung kommt es im Frühjahr regelmäßig zu Ansammlungen von tausenden Enten, Gänsen und Limikolen. Für die sind solche Gebiete unentbehrlich, denn für ihren weiteren Zug müssen sie zwischendurch Kräfte sammeln und Energievorräte in Form von Körperfett anlegen, mit denen sie die Kilometer bis zum nächsten Rastgebiet schaffen können. Ein Netz von geeigneten Feuchtgebieten brauchen diese Arten, und die großräumige Entwässerung vieler Gebiete hat sicher zur Gefährdung und zum Rückgang mancher Art beigetragen.
Als in den 60er und 70er Jahren in Brandenburg im Zuge der Meliorationen Rastgebiete verloren gingen, nahm die von den Ornithologen registrierte Zahl rastender Enten und Limikolen stark ab. Einen Tiefpunkt erreichte diese Entwicklung in den 80er Jahren, als auch noch die großen Rieselfeldflächen um Berlin stillgelegt wurden, die einigen Arten Ersatzlebensraum boten. Erst die lokalen Wiedervernässungen nach 1990, etwa in der Unteren Havelniederung und in der Nuthe-Nieplitz-Niederung, führten wieder zu einer Verbesserung. An der unteren Havel rasten heute wieder tausende von Pfeif- und Krickenten wie in den 60er Jahren (während die Spießente ihre früheren Höchstzahlen dort nicht mehr erreicht). Hochnordische Durchzügler wie manche Strand- und Wasserläufer finden im Herbst wieder geeignete Schlammflächen zur Rast vor, zum Beispiel am Zauchwitzer Busch und am Rietzer See. Der Bedarf an Rastgebieten ist groß, wie die sofortige Annahme auch kleiner Feuchtflächen durch Limikolen immer wieder zeigt. Besonders spektakulär belegte dies das Oderhochwasser 1997, als es im Unteren Odertal und in der überfluteten Ziltendorfer Niederung – also teilweise abseits traditioneller Rastgebiete – zu wahren Massenansammlungen von Limikolen und Enten kam, die in dieser Größenordnung in Brandenburg noch nicht bekannt waren.
Aktiver Tagzug
Im Gegensatz zu Nachtziehern lässt sich der Vogelzug bei Tag auch direkt beobachten. Am besten geht dies natürlich bei großen Vögeln, die sich darüber hinaus auf enge Zugkorridore konzentrieren.
So kommt es alljährlich im Herbst zum Massenaufbruch von Kranichen, die morgens von ihren mecklenburgischen und brandenburgischen Rastgebieten starten und dann nonstop in einem relativ schmalen Korridor über Nordthüringen, Südniedersachsen und Hessen in die nächstgelegenen französischen Rastgebiete ziehen. Dieses Zugereignis kann alljährlich von einer großen Zahl von Ornithologen bundesweit verfolgt und anhand sofortiger Internet-Meldungen tagesaktuell dokumentiert werden. Die meisten Vögel dagegen ziehen in breiter Front und viel unauffälliger. Zu ihrer Erfassung führen die Ornithologen sogenannte Planzugbeobachtungen durch, bei denen stundenlang von einer Stelle aus der Himmel abgesucht und durchziehende Vögel gezählt werden. An guten Tagen können auf diese Weise zuweilen erstaunliche Zugbewegungen festgestellt werden, beispielsweise wurden in Brandenburg schon mehrfach über 20.000 durchziehende Buchfinken in einem Gebiet in wenigen Stunden gezählt.
Von Nord nach Süd - von Süd nach Nord?
Fast alle Vögel ziehen im Herbst von Nord nach Süd, um in wärmere Gefilde auszuweichen. Für viele Arten ist die Hauptzugrichtung bei uns Südwest. Sie kommen so nach Frankreich und Spanien. Langstreckenzieher ändern dann ihre Zugrichtung auf Süd, überqueren Gibraltar und die Sahara in Nähe der Atlantikküste. Andere Arten, wie Sumpfrohrsänger und Klappergrasmücke, ziehen südostwärts, um über die Türkei und Israel das Niltal und den afrikanischen Kontinent zu erreichen.
Bei Weißstörchen geht durch Deutschland eine Zugscheide: Die meisten brandenburgischen Störche ziehen nach Südost ab, einige aber wählen den westlichen Weg nach Spanien. Nur wenige Arten weisen ganz abweichende Zugwege auf, etwa der Karmingimpel, der in Indien überwintert.
Und kaum bekannt ist, dass es bei uns auch Vögel gibt, die im Herbst von Süd nach Nord wandern. Dazu gehört der Bergpieper, der seine Brutplätze in den Hochgebirgslagen von Alpen und Karpaten in Richtung Nord verlässt und dann in Brandenburg erscheint, zum Beispiel zu Hunderten im Unteren Odertal als wohl wichtigstem mitteleuropäischen Rastgebiet.
Mit besonderer Spannung verfolgen viele Ornithologen das Zuggeschehen bei den Großmöwen. Erst seit ganz wenigen Jahren nämlich ist es gelungen, Merkmale zu ermitteln, mit deren Hilfe sich die südlichen „Weißkopfmöwen“ (die sich wiederum in westliche „Mittelmeermöwen“ und östliche „Steppenmöwen“ aufspalten lassen) im Feld zuverlässig von den Silbermöwen der Nord- und Ostseeküste unterscheiden lassen. Seitdem ist klar, dass es auch bei diesen Möwen starke Zugbewegungen von Süd nach Nord gibt: Vom Mittelmeer kommen schon im Sommer viele Jung- und Altvögel nach Mitteleuropa, während der Einflug vom Schwarzen Meer her hauptsächlich im Herbst stattfindet. Offenbar hat das künstliche Nahrungsangebot, vor allem auf Mülldeponien, zur Herausbildung dieses ungewöhnlichen Zugweges geführt.
Klimawandel und Vogelzug
Die prognostizierte globale Klimaerwärmung wird erhebliche Auswirkungen auf den Vogelzug haben. Bereits in den letzten Jahren kam es zu einer vorher kaum bekannten Häufung milder Winter und hoher Jahresdurchschnittstemperaturen. Da seit rund 40 Jahren recht genaue Aufzeichnungen über die Zugzeiten der Vögel aus Berlin und Brandenburg vorliegen, lassen sich in einigen Fällen deutliche Änderungen nachweisen. Ein Zusammenhang mit den klimatischen Veränderungen ist zwar kaum nachzuweisen, aber oft plausibel.
Arten wie Weißstorch, Graugans, Pfeifente, Fischadler, Kiebitz, Nachtigall und Teichrohrsänger kommen im Frühjahr jetzt deutlich früher an als noch vor einigen Jahrzehnten. Bei anderen Arten steigt die Tendenz zur Überwinterung bei uns, zum Beispiel bei Haubentaucher, Kormoran, Kranich, Hohltaube und Misteldrossel. Manche Wintergäste wie Ohrenlerche und Berghänfling dringen nicht mehr in der Anzahl wie in den letzten Jahrzehnten bis zu uns vor, und die Vögel verlassen unser Gebiet zeitiger als in früheren Jahren.
Besondere Verantwortung
Für einige Vogelarten hat Brandenburg dadurch eine herausragende Bedeutung, dass ein Großteil ihres Bestandes unser Gebiet auf dem Zug berührt. Wir sind deshalb ganz besonders in der Pflicht, diese Arten bei uns zu schützen. Die betrifft den Kranich, dessen größte binnenländische Rastplätze in Mitteleuropa bei uns liegen. Auch der Zwergschwan hat in der Elbtalaue einen überregional bedeutenden Rastplatz. Ganz besondere Verantwortung hat Brandenburg für die bei uns durchziehenden und überwinternden Saat- und Blessgänse. Der größte Teil der nach West-Mitteleuropa ziehenden Population überquert Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und ist hier auf günstige Rastbedingungen angewiesen. Auch wenn der Gedanke an eine Bestandsgefährdung angesichts der starken Zunahme in den letzten Jahrzehnten und der Massenschlafplätze mit zehntausenden Gänsen schwer fällt, muss man sich doch im klaren sein, dass über die Zukunft dieser Arten bei uns mit entschieden wird. Tatsächlich kam die starke Zunahme in Mitteleuropa wohl eher durch eine Verlagerung der Winterrastgebiete als durch einen wirklichen Bestandszuwachs zustande, wie Erfassungen in den Brutgebieten andeuten. Wenn wir den Fang unserer Zugvögel auf dem Zug in Italien beklagen, können wir nicht gut die Jagd auf Gänse, die bei uns zu Gast sind, weiter akzeptieren.
Für weitere Arten hat Brandenburg zumindest für das mitteleuropäische Binnenland eine herausragende Bedeutung, beispielsweise Oder- und Havelniederung für Schwimmentenarten und das Randow-Welse-Bruch in der Uckermark für den Goldregenpfeifer.
Rastgebietsschutz
Verschiedene internationale Abkommen wie die Ramsar-Konvention, die Europäische Vogelschutzrichtlinie und das Afrikanisch-Eurasische Wasservogelabkommen (AEWA) haben den Zugvogelschutz zum Inhalt. Wichtige Feuchtgebiete sind in Brandenburg im Rahmen dieser Abkommen unter Schutz gestellt worden. Der Schutzstatus auf dem Papier gibt allerdings nicht viel her, wenn er nicht durch klare Bestimmungen untermauert wird.
So wird im Ramsar- und Vogelschutzgebiet Peitzer Teiche nach wie vor die Wasservogeljagd ausgeübt (die nicht nur mit der Tötung, sondern vor allem auch der massiven Störung rastender Vögel verbunden ist). Im Nationalpark Unteres Odertal ist es immer noch nicht gelungen, die für Rast- und Brutvögel sowie viele andere Organismen katastrophale Praxis des schnellen Wasserabpumpens im Frühjahr abzustellen, die das Überschwemmungsgebiet jedes Frühjahr wieder für viele Arten entwertet.
Gutes Wassermanagement und Störungsarmut sind für viele Rastgebiete wesentliche Schutzmaßnahmen. Windkraftanlagen müssen aus den Hauptrastgebieten von Kranichen und Gänsen verbannt bleiben. Auf den größeren Seen sind spätsommerliche Wasservogelansammlungen beispielsweise von Haubentauchern, wie sie vor einigen Jahrzehnten noch gang und gäbe waren, aufgrund des übermäßig angewachsenen Bootsverkehrs heute praktisch unbekannt beziehungsweise auf Schutzgebiete beschränkt. Eine sinnvolle Gewässerzonierung sollte hier Abhilfe schaffen und den verschiedenen Interessen gerecht werden.
Dieser Artikel ist im Naturmagazin, der Mitgliederzeitschrift des NABU Brandenburg erschienen und wurde im Oktober 2020 redaktionell für die Webseite überarbeitet.